Was ist Aikido?

Aikido ist eine klassische japanische Kampfkunst, die nicht auf Sieg oder Niederlage gründet, sondern auf der körperlichen Schulung und Entwicklung einer wachen und klaren Geisteshaltung.

 

 

Aikido ist schwer mit Worten zu beschreiben. Vielleicht gerade weil Aikido so unterschiedlich sein kann. Je nach den eigenen Interessen findet man beim Üben häufig sehr verschieden Ziele oder interessante Aspekte.

Diese sind oft...


Ein Weg des Ausgleichs und der Achtsamkeit

Durch die ruhige Gymnastik, die Atemübungen und die immer wiederkehrenden Bewegungen bietet Aikido einen wertvollen Ausgleich zum hektischen Alltag. Aikido ist aber keine reine Entspannung. Es geht immer auch um eine kräftige und klare Ausführung der Techniken.

Nach einem guten Training geht man wach, positiv und mit neuer Energie von der Matte.

 

Ein ausgewogenes körperliches Training

Aikido bietet einen Ausgleich zum oft kognitiv ausgerichteten Alltag. Die natürlichen Bewegungen kräftigen den Körper sehr ganzheitlich und formen ein Gleichgewicht aus Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer, und Schnelligkeit. Um Aikido zu üben benötigt man keine herausragenden körperlichen Fähigkeiten. 

In den ersten Jahren ist besonders die Koordination gefragt.  

 

Ein soziales Miteinander

Aikido kann man nicht alleine üben. Wir sind also immer auf einen Übungspartner und auf eine Übungsgruppe angewiesen. Dies drücken wir auch im gegenseitigen Respekt aus. In der Aikidoschule gibt es regelmäßig Feste und Termine die wir gemeinsam veranstalten. Auch über Besuche von Aikidolehrgängen an anderen Orten entstehen oft feste Freundschaften.

 

Aikido ist keine einfache Sache, die man in wenigen Jahren lernt. Dafür wird es aber auch nicht langweilig. Es gibt kein endgültiges Ziel. Vielmehr ist der Weg und die Gestaltung des eigenen Übens und der eigenen Entwicklung das Ziel. Auch nach Jahrzenten des Übens gibt es immer wieder neue und spannende Bewegungsideen oder Fragestellungen. 

 

Wenn man lange genug Aikido übt und die Bewegungen natürlich und ohne nachzudenken ausführen kann, kann man sich auf zusätzliche spannende Aspekte konzentrieren...

 

Aikido als realistische Kampfkunst

Wie gut wäre meine Technik gegen einen echten Gegner? Viele der kurz ausgeführten Aikidobewegungen wurden genau dafür vor vielen Jahrhunderten von Kämpfern und Samurai in Japan entwickelt und eingesetzt. Da sich die Lebensweise auch bei uns zum Glück geändert hat, ist dies jedoch nicht der wichtigste Aspekt beim Aikido. 

 

Eine Auseinandersetzung mit sich selbst

Oft tauchen beim längeren Üben allgemeinere Fragen und Themen automatisch auf. Vieles lässt sich dabei sehr gut auf andere Bereiche im Leben übertragen. Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen und meinem Umfeld um? Wie gehe ich damit um, wenn im Training etwas nicht so gut klappt? Schaffe ich es im Alltag angemessen und ruhig auf Probleme und Schwierigkeiten zu reagieren? Was kann ich gut. Wo möchte ich mich weiterentwickeln?

 

Beim Aikido gibt es keine Wettkämpfe. Wenn man möchte kann man Gürtelprüfungen ablegen. Diese sind aber so selten, dass sie für das Üben keine große Bedeutung haben. Dies gibt einem die Möglichkeit ohne äußere Anforderungen oder der Gefahr zu Scheitern etwas Schönes und Einzigartiges zu tun. 

Eine etwas philosophischere Erklärung von Tada Hiroshi Sensei (9.Dan Aikikai)

 

Die Verkörperung der Einheit von „Geist – Technik – Körper“

                                                                     Saignelégier, 15. Juli 2004

Der folgende Artikel wurde erstmals im Sonderheft „Geist – Technik – Körper“ der Zeitschrift des Tempukais veröffentlicht (Tempu Nr. 14, Juni 2004). Einige Änderungen wurden angefügt, um das Verständnis unter den Mitgliedern der europäischen Aikikais zu fördern.

Übersetzung aus dem Japanischen von Fabio Gygi  (Aikido Schule Tübingen).

 

Am Anfang steht der Geist

Die japanischen Kampfkünste haben in den 700 Jahren, in denen die Kriegerkaste Japan beherrschte, großen Einfluss auf die japanische Kultur ausgeübt. Speziell die Krieger, die im Hochmittelalter und in der Zeit der streitenden Länder lebten, unterzogen sich einer aus heutiger Sicht unvorstellbar harten Ausbildung. Da die Kampfkünste direkt mit Leben oder Tod der Menschen zusammenhängen, sind die Krieger auch tief in die Probleme des Geistes eingedrungen und haben Shintō, Buddhismus, Konfuzianismus und die Lehren und asketische Praxis Chuang Tses und Lao Tses zur Entfaltung auf höchster Stufe gebracht.

Das vom Krieg zerrissene Land wurde dann geeint, unter ein Feudalsystem gebracht und in der darauf folgenden Zeit des Friedens wurde mehr Wert auf die den Geist der Loyalität vermittelnde Ausbildung der Kampfkünste als auf ihren Wert im richtigen Kampf gelegt. Im Japan der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts wurden sie zur Verbreitung des kaisertreuen Patriotismus gebraucht und weil das bei vielen Menschen eine starken Eindruck hinterlassen hat, gibt es heute noch Viele, die glauben, dass Herz des Budō sei im konfuzianischem Idealismus zu finden. Das ist der Weg, der den gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht wird, und allgemein als „Weg der moralischen Bildung des Geistes“ (Shingaku no michi) bezeichnet wird.

Aber unabhängig von der Oberfläche der konfuzianischen Erziehung gibt es einen anderen Weg der Kampfkunst, der latent seit Urzeiten vorhanden ist. Das Herz des versteckten Budō basiert – unabhängig vom Zeitgeist – auf den Prinzipien des Universums und der Erforschung der Lebenskraft und den Methoden, sie zu erhöhen und einzusetzen. Man nennt dies den „Weg der Prinzipien des Geistes“ (Shinpō no Michi), der sich mit der weitmöglichsten Entfaltung der Fähigkeiten, die das Universum den Menschen verliehen hat, beschäftigt.

Der „Weg der Prinzipien des Geistes“ ist eine Synthese aus der praktischen Philosophie des Ostens und der Kampfkunst, die aus Einflüssen des Shintō, des esoterischen Buddhismus, des Zen, des Taoismus und der Lehren Chuang Tses entstanden ist. Die östliche Weltanschauung, die Lehren und Ansichten über das Leben, bestimmen bis heute als Untergrundströmung die japanische Mentalität. Um die Einheit von Geist, Technik und Körper zu entschlüsseln, ist es notwendig, den „Weg der Prinzipien des Geistes“ gut zu kennen.

Besonders beachten muss man dabei, dass die traditionellen Trainingsmethoden des „Weges der Prinzipien des Geistes“ und die heute im westlichen Sport, der Gymnastik und den kompetitiven Formen des Budō verbreiteten Trainingsmethoden völlig verschieden sind. Unabhängig von „stark“ oder „schwach“ und der Idee des Wettkampfes ist dieser Weg eine „Methode der bewegten Meditation“ oder „Zen in Bewegung“. Weil der Zustand des „Unbewegten Geistes“ und der „Einheit von Schwert und Zen“ als Resultate dieser Trainingsmethoden ganz natürlich erreicht werden, ist es ein Weg, der nicht nur im Budō sondern auf allen Ebenen des Lebens aller Menschen Wirkung zeigt. Aikidō ist die Form von Budō, die den „Weg der Prinzipien des Geistes“ auf moderne Art praktiziert.

Die Art, wie Techniken aufzufassen sind

Je nach Person gibt es ziemlich große Unterschiede im Verständnis von Wörtern wie „Geist“ „Technik“ und „Körper“. Wie muss man also „Technik“ verstehen? Wenn man den Menschen mit einem großen Baum vergleicht, dann sind die Techniken die Blüten beziehungsweise Früchte. Wenn man ernten will, dann ist der Ursprung des Baumes wichtig. Bei einem gut gepflegten Baum mit festen Wurzeln, einem eindrucksvollen Stamm, Ästen und Blättern wird es auch gute Früchte geben. Das erkennt man aus der Ferne auf einen Blick: Um gute Techniken ausführen zu können, muss man zuerst einen Geist und Körper erarbeiten, der die Techniken gut ausführen kann.

Je nachdem, welche Inhalte man sich aneignen will, sind die aufbauenden Prinzipien natürlich anders. Wichtig ist, dass man zuerst gründlich die Basis erforscht und sich viel Zeit zum Wiederholen nimmt, damit sie in der Tiefe des Geistes und des Körpers eingepflanzt wird.

Speziell am Anfang muss man sich bewusst sein, dass es beim Aneignen der Techniken zwei Geisteszustände gibt. Das wird in der Überlieferung des Budō

immer wieder erwähnt: Man darf sich nicht eine Trainingsmethode angewöhnen, bei der der eigene Geist von den Dingen beziehungsweise vom Partner „gestohlen“ wird. In der Lehre von Yamaoka Tesshū vom Shunpūkan heißt es: „Wenn der Geist anhält, entsteht eine Lücke“. Weil das für junge Leute, die Budō üben, und Anfänger schwer verständlich ist, müssen die Lehrenden gut darauf achten, dass von Beginn weg die richtige Methode eingeübt wird. Menschen mit wenig Erfahrung dies zu erklären ist sehr schwer; Meister Nakamura Tempū hat es auf leicht verständliche Weise folgendermaßen erläutert:

Es gibt zwei Arten von Konzentration:

Dinge  ←   Geist                   normale Konzentration
 

Die erste bezeichnet den normalen Zustand des Geistes: Die Dinge führen, der Geist folgt. Der Grund dafür liegt darin, dass wenn der Geist von den Dingen angezogen wird, im Geist Vorstellungen von diesen Dingen entstehen und man in einen unfreien Zustand gerät. Das nennt man „Konfrontation, einen Feind herstellen“. Dieser Zustand wird in der Überlieferung als „anhalten“ ausgedrückt.

Dinge →   Geist                   Dharana Dhyana Samadhi 

Chuang Tse schreibt: „Gebrauche den menschliche Geist wie einen Spiegel“. Der Geist wird von den Dingen nicht gestohlen, er führt, die Dinge folgen, das ist der Zustand der aus der Erfahrung der östlichen Meditation hervorgegangen ist. In diesem Zustand ist man frei, „Ohne Konfrontation gibt es auch keinen Feind“.

Diese Art von Geisteszustand kann man nicht durch Denken erreichen. Man muss ihn sich erarbeiten, durch die Übung des Ki mit Kokyū-Hō, durch die Kontrolle der Wahrnehmung und durch Meditation, egal nach welcher Methode.

 

Der Begründer des Aikidō, Meister Ueshiba Morihei, hat gesagt: „Wenn man sich bewegt, werden Techniken geboren“. In der Sprache des Tempūkais nennt man das: „Wenn man sich im Zustand des Anjōtaza bewegt, dann werden Techniken geboren“. Man führt Techniken nicht bewusst aus, sondern sie steigen aus der Tiefe des Geistes auf, wenn man sich in einem Zustand der Leere befindet. In der alten Überlieferung des Budō heißt es: „Der Geist entsteht, wenn man die Orte, an denen er anhält, weglässt“. Diese Zeile aus dem Diamantsutra sieht man oft auf Kalligraphien in Zen-Tempeln.